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S&T Hochwürden
Anmeldedatum: 07.08.2005 Beiträge: 9902 Wohnort: Gehenna
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Verfasst am: 22.06.2012 13:40 Titel: schon wieder Politik |
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...aber nachdenken ist ja erlaubt. Noch.
Zitat: |
Das Wesen der Demokratie
Von Michael Müller
Sofern Sie zum Abonnenten-Kreis der Passauer Neuen Presse zählen, kennen Sie diesen Satz gewiss schon: „Wer das Wesen der Demokratie so mit Füßen tritt, disqualifiziert sich für die Aufgabe als Abgeordneter.“ Wenn nicht, so sollte ich Sie kurz wissen lassen, dass dies die mehr oder minder spontane Reaktion der CSU-Landesgruppengerda Hasselfeldt auf den Eklat war, der den Deutschen Bundestag am Mittag des Freitag, dem 15. Juni 2012, kalt erwischte.
Nachdem die an dieser Stelle veröffentlichten Zeilen – nicht zuletzt aufgrund der Faulheit ihres Autors – nicht mehr so regelmäßig aktualisiert werden, wie sich die Schandmännchen-Groupies das wünschen mögen, steht zu befürchten, dass sie noch viele Wochen lang nachzulesen sein werden. Dieser Ewigkeitswert macht es seinerseits erforderlich, dass ich die diesen Zeilen zugrunde liegenden Ereignisse für die Nachwelt kurz zusammenfasse.
Am besagten Freitag (dem 15.06.2012) war es endlich so weit: Nach monatelangem Gewürge stand das Betreuungsgeld – die sogenannte Herdprämie – endlich zur ersten Lesung im Deutschen Bundestage an. Wie Zeitzeugen sich erinnern, ging es beim Betreuungsgeld in erster Linie darum, dass die CSU allem Volke zu wissen tun wollte, dass sie auch in einer Koalition mit CDU und FDP immer noch einen auf dicke Hose machen kann. Nachdem sich diese schwarz-gelbe Koalition gleich zum Amtsantritt mit der Einführung einer Subvention für Hoteliers ihren Stammplatz in der Weltgeschichte erschlichen hatte, lag die Messlatte für solch ein heroisches Unterfangen natürlich verdammt hoch.
Entsprechend hoch waren auch die christsozialen Ziele gesteckt: Die bis September 2009 für die Geschicke der Nation verantwortliche große Koalition hatte während ihrer Amtszeit den Rechtsanspruch auf Kita-Plätze (ab dem ersten Geburtstag des respektiven Wonneproppens) durchgesetzt. Keine einfache Nummer, aber durchaus eine sinnvolle: Auf der einen Seite existierte ein beklagenswertes Defizit bei der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund (wer im ersten Grundschuljahr erst mal Deutsch lernen muss, dem bleibt weniger Zeit, um Lesen, Schreiben und etwas Rechnen zu lernen). Zugleich schien es volkswirtschaftlich bedenklich, jungen Müttern den Wiedereinstieg ins Berufs- (und Steuerzahler-) Leben zu verwehren, weil es für ihren Nachwuchs keine Krippen- oder Kita-Plätze gab.
Es bedarf keiner großartigen Erklärung, dass so ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ne verdammt teure Angelegenheit ist – auch wenn man in den Berechnungen bislang davon ausgeht, dass bestenfalls ein Drittel der Betroffenen diesen Anspruch auch geltend machen würden: Jedem war klar, dass der Staat ganz furchtbar viel Geld in die Hand nehmen müsste, um das Dingen durchzuziehen. An dieser Stelle wurden nun die Christsozialen aufmerksam, denn an den restlichen zwei Dritteln der Betroffenen, die ihre Kinder lieber selbst zu Hause er- und aufziehen, bis sie nach drei Jahren (und mit etwas Glück) einen Kindergartenplatz ergattern können, würde dieser staatliche Investitionssegen naturgemäß vorbei regnen.
Die Logik ist zwingend: Stellen Sie sich einfach vor, sie müssten einen Teppich, den sie für vielleicht 1.000 Øre auf’m Basar in Kabul erstanden haben, eine Einfuhr-Umsatzsteuer von – sangwerma – 200 Øre entrichten. So was kommt vor – wenn auch selten. Diese 200 Øre landen im allgemeinen Steuersäckel, aus dem – unter anderem – auch Maßnahmen zur Rehabilitierung von zwanghaften Psychopathen, die in der Fußgängerzone ein Kettensägenmassaker veranstaltet haben, bezahlt werden. Ich darf hier mal unterstellen, dass Sie – verehrte Leserin und hochgeschätzter Leser – womöglich nicht zum Kreise jener zwanghaften Psychopathen, die Kettensägenmassaker Fußgängerzonen veranstalten, zählen. Damit ist evident, dass Ihnen ein entsprechender finanzieller Ausgleich gebührt, gelle?
Ungefähr so begründete die CSU ihre Initiative zum Betreuungsgeld: Eigentlich ist Familie ja so was, was so einer wie der Edmund Stoiber zu Hause sitzen hat (vielleicht abgesehen von irgendwelchen Mauscheleien bei der töchterlichen Dissertation) – und ungefähr so ähnlich sieht’s ja auch beim klassischen CSU-Stammwähler daheim aus, gelle? Dass damit zugleich eine Möglichkeit eröffnet würde, gerade jene Menschen, denen ein Kita-Platz zur Integration wohl anstünde, eine Kopfprämie dafür gezahlt würde, ihre Kinder statt in der Kita vor Super-RTL zu parken, zählt zweifellos zu den Details, die das christsoziale Weltbild eher ausblenden möchte.
Zum Hintergrund nur noch so viel: Dass Sozis, Grüne und Ganzlinke von vornherein gegen diese Pläne waren, ist zwar evident, wurde jedoch kaum wahrgenommen, denn die internen kleinkoalitionären Zankereien waren irgendwie interessanter. Die CSU wollte ihre Schwachsinnsnummer durchziehen, um sich den Respekt der Berliner Politik-Gemeinde zu ertrotzen. Der Widerstand der Liberalen wurde durch die Zusage einen „Pflege-Riester“ (und das ist nun wirklich ne ganz andere Geschichte) einzuführen, gebrochen und die schmächtigste Merkelin aller Zeiten war noch am Donnerstag (dem 14.6.2012) unterwegs, um die Bedenken der CDU-Abgeordneten, die den Sinn der Nummer nach wie vor anzweifelten, zu zerstreuen (was das gekostet haben mag, ist zur Stunde noch nicht raus). Angemerkt sei schließlich noch, dass die Kleinkoalitionäre keine Mühe gescheut hatten, das Gesetz zum Betreuungsgeld so zu formulieren, dass es nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürfe.
So stellte sich also die Gemengelage im Morgengrauen des 15. Juni 2012 dar: Die Opposition würde im Bundestag überstimmt werden, der Bundesrat würde nicht befragt werden müssen und noch vor Sonnenuntergang würde sich Ober-Bayer Horst Seehofer einen weiteren Skalp an seinen Wigwam nageln können.
Dann kam’s aber doch irgendwie anders. Gegen Freitagmittag hatten sich die Reihen im Hohen Haus bedenklich gelichtet. Nicht unüblich für einen Freitag im Juni, wo der gemeine MdB gewiss auch noch einem Grillfest im Ortsverein beiwohnen möchte. Noch bevor das Betreuungsgeld aufs Tapet kam, stellten sich – bei einer völlig anderen Abstimmung – gewisse Zweifel ein, ob das Hohe Haus denn Beschlussfähig sei. Die Sitzungsleiterin – scharmanterweise die ganzlinke Petra Pau – rief zur Feststellung der Beschlussfähigkeit.
Diese erfolgte per Hammelsprung (nach §51 Abs.2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags): Alle Abgeordneten verlassen das Parlament, werden wieder reingerufen und beim Wiedereintritt von den Schriftführern gezählt.
Laut §45 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung ist der Deutsche Bundestag nur dann „beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.“ Ist dies nicht der Fall, lässt Absatz 3 desselben Paragraphen dem Sitzungsleiter keine Wahl: Er muss die Sitzung sofort aufheben. Der Deutsche Bundestag zählt aktuell 622 Mitglieder, die Hälfte davon sind 311 MdBs. Die Zählung ergab die Anwesenheit von 211 Abgeordneten. Petra Pau folgte der Geschäftsordnung und beendete die Sitzung prompt.
Ergebnis: Auch die verbliebenen 211 MdBs konnten sich unmittelbar den Grillfesten ihrer jeweilige Ortsvereine zuwenden. Und das Gesetz zum Betreuungsgeld kann nicht mehr vor der Sommerpause durchs Parlament gepeitscht werden: Die Herdprämien-Debatte wird uns mindestens bis September durch die parlamentarische Sommerpause begleiten (kaum zwölf Stunden nach dem Eklat meldete die Bild-„Zeitung“, dass diverse Parlamentarier bereits Änderungswünsche angemeldet hätten).
So weit die Sachlage, nun die Bewertung: Auch mit einem zeitlichen Abstand von mehr als 48 Stunden lässt die Nachrichtenlage keinen belastbaren Schluss zu, ob der Hammelsprung-Eklat von den Oppositionellen geplant war oder nicht – ich habe beide Versionen gelesen. Fakt scheint zu sein, dass den Oppositionellen allerspätestens während des Hammelsprungs klar wurde, dass sie den Kleinkoalitionären das Betreuungsgeld-Gewürge für die Sommerpause würden eintüten können. Belegt scheint, dass es ungefähr 70 Oppositions-Abgeordnete schlicht und einfach weigerten, den Saal zwecks Zählung wieder zu betreten. Belegt ist weiterhin, dass 126 Abgeordnete der regierenden Koalition auch bei bestem Willen nicht aufzutreiben waren.
Das ist zuerst mal ein – verdammt peinlicher – Fehler der parlamentarischen Geschäftsführungen von Union und Liberalen. Doch damit sollen sich gefälligst andere kluge Menschen rumschlagen. Konzentrieren wir uns hier lieber auf die Abgeordneten der Opposition, die sich dem „Quorum Call“ verweigerten und damit – ob absichtlich oder nicht – unserer wackeren Regentin ein verflucht dickes Ei ins kuschelige Nest der Sommerpause gelegt haben.
Lassen Sie mich – nur fürs Protokoll – festhalten, dass diese Herrschaften weder das Parlamentspräsidium verkloppt haben, noch mehrere Millionen Grad heiße Bengalos ins Hohe Haus geworfen haben. Trotzdem gibt’s ein Nachspiel. Gnihihi.
Aber mal im Ernst: Haben die wirklich das „Wesen der Demokratie“ mit Füßen getreten und sich so „für die Aufgabe als Abgeordneter“ disqualifiziert, wie Gerda Hasselfeldt es der Passauer Neuen Presse anvertraute, haben sie ein „dreckiges kleines Foulspiel“ begangen, wie CSU-Generalalex Dobrindt so eloquent formulierte, oder haben sie – wie Ober-Horst Seehofer sagte – „demokratiezersetzendes“ Verhalten vorgeführt?
Nö, haben sie nicht. Sie haben – geplant oder ungeplant, das mag ich nicht entscheiden – die Spielregeln ausgenutzt, die für den parlamentarischen Prozess nun mal bestehen. Und das ist nicht nur legal, es ist sogar legitim.
Hier geht es übrigens nicht darum, dass das Betreuungsgeld nicht nur von der gesamten Opposition, sondern auch von der Mehrheit der Bevölkerung, von der OECD oder diversen Fachverbänden als unsinnig bezeichnet wird. Das ist nicht viel mehr als schmückendes Beiwerk. Es geht in erster Linie darum, dass Demokratie keine Ausrede dafür sein darf, dass Mehrheiten Minderheiten gnadenlos niederstimmen. Ich möchte Sie hier nicht mit sattsam bekannten Rosa-Luxemburg-Zitaten nerven, allerdings möchte ich Sie schon daran erinnern, dass das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 von der Mehrheit des Reichstags beschlossen wurde.
Das dürfte auch den Vätern und den wenigen Müttern des Grundgesetzes schmerzlich bewusst gewesen sein (von Theodor Heuss etwa wird berichtet, dass er sich selbst seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz zeitlebens nicht verzeihen konnte). Deswegen haben sie jede Menge Fallstricke und Fußangeln ins Grundgesetz und die anderen grundlegenden Gesetzeswerke der Republik (zu denen nicht zuletzt auch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zählt) eingebaut, deren wichtigster Zweck es ist, die Rechte von Minderheiten zu schützen. Niemand hat behauptet, dass Demokratie ein Ponyhof ist.
Natürlich wäre es irgendwie heroischer gewesen, wenn die Oppositionellen am Freitag im Bundestag einen Filibuster á la James Stewart (in „Mr. Smith goes to Washington“, Frank Capra, 1939) abgezogen hätten. Nur ist so ein Filibuster erstens im deutschen Recht nicht vorgesehen und zweitens hat Capra die seinerzeit geltenden Regeln des US-Senats aus dramaturgischen Gründen reichlich freimütig interpretiert: Einen machtbesessenen Moloch dadurch in die Knie zu zwingen, dass man am Grillfest des heimischen Ortsvereins teilnimmt, bringt nun mal keinen Oskar für die Beste Originalgeschichte.
Dennoch hat jene Minderheit der MdBs, die am vorigen Freitag der Mehrheitsmeinung von Bevölkerung, Verbänden etc. durch den (womöglich ebenfalls heroischen) Verzehr von Grillwürstchen und selbstgemachtem Kartoffelsalat Ausdruck verliehen hat, keineswegs das „Wesen der Demokratie“ mit Füßen getreten. Sie haben kein „dreckiges kleines Foulspiel“ veranstaltet und sich auch nicht „demokratiezersetzend“ verhalten.
Das waren die, die ihre parlamentarische Mehrheit dazu nutzen wollten, ihre Macht zu demonstrieren.
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pointer säxmäschien
Anmeldedatum: 07.08.2005 Beiträge: 9001 Wohnort: Ostfildern, Spätzlesland
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Verfasst am: 22.06.2012 14:45 Titel: |
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schön geschrieben
obwohl, ich bin da parteiisch, weil ich die Meinung in allen Punkten teile ...
so, nu ab auf's Moped, Vogesen rufen über's WoE, die olle SR braucht mal dringend wieder ein bisschen Auslauf, nachdem dieses Jahr fast nur das Guzzetten-Gespann getrieben wurde.. Gute und unfallfreie Fahrt wünsche ich allen.
P. _________________ Ottos Mops hopst ... (Ernst Jandl)
Wir sprechen verschiedene Sprachen, meinen aber etwas völlig anderes |
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roger Ex- nixkochkäse
Anmeldedatum: 19.10.2005 Beiträge: 3007 Wohnort: Pungscht
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Verfasst am: 22.06.2012 16:38 Titel: |
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Schön zu wissen, dass es doch noch Menschen gibt, die wissen, was Demokratie ist oder sein kann |
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